Interview mit Safiya Bukhari-Alston

Interview mit Safiya Bukhari-Alston 

Brooklyn, New York City, September 1992

 

Zur Person:

Safiya Bukhari-Alston wuchs in New York City auf und studierte im New York City College Medizin. 1969 trat sie in die BPP/Harlem, New York City, ein. Safiya war seit 1971 für die Informations- und Kommunikationsarbeit der gesamten Ostküsten-Panther zuständig und in diesem Rahmen auch für die Herausgabe der BLA-Kommuniqués und die Organisierung von Pressekonferenzen verantwortlich. Ende 1973 ging sie als Koordinatorin des Armistad Kollektivs der BLA in die Illegalität. Sie war die einzige weibliche Koordinatorin einer BLA- Einheit. Im Januar 1975 wurde sie in Norfolk, Virginia verhaftet und wegen Mordes zu 40 Jahren Gefängnis verurteilt. Auch im Gefängnis war sie für die Konsolidierung der BLA-Einheiten und der regionalen Panther der gesamten südlichen Ostküste zuständig. Ende 1976 ist sie aus dem Gefängnis in Virginia ausgebrochen und wurde allerdings schon zwei Monate später erneut verhaftet. Für ihren Ausbruch wurde sie zu einem weiteren Jahr Gefängnis verurteilt und verbrachte 3 Jahre und 7 Monate in Isolationshaft. 1983 wurde sie auf Bewährung entlassen. Seit ihrer Entlassung arbeitet sie in verschiedenen Communityprojekten.
Safiya ist Mutter einer Tochter und inzwischen auch Großmutter.

 

Interview:

Wie bist Du zur Black Panther Party (BPP) gekommen?

Safiya: Ich ging damals aufs College, um Ärztin zu werden. Im ersten Studienjahr habe ich ausschließlich studiert und zwar hier in Brooklyn, genauer gesagt, am New York City College. Und die Leute an der Uni hielten mich für hochnäsig, weil ich keiner Organisation beitrat, sondern die ganze Zeit nur mit dem Studium beschäftigt war. Um diesem Eindruck etwas entgegenzusetzen, trat ich im zweiten Jahr einer Studentinnenorganisation namens Hamilton House bei. In diesem Jahr wurden in dieser Organisation auch People of Color zugelassen, und wir wählten unsere erste Schwarze Präsidentin.
Eines der Vorhaben dieser Organisation war die Unterstützung unterprivilegierter Kinder in anderen Ländern. Unsere damalige Präsidentin wies uns darauf hin, gar nicht so weit gucken zu müssen, weil es auch in den Vereinigten Staaten unterprivilegierte Kinder gäbe. Viele Leute konnten nicht glauben, daß es hier in den USA, sogar hier in New York City hungrige Kinder gibt, die Hilfe brauchen. Also wurden drei von uns beauftragt, die Situation zu untersuchen. Wir gingen schließlich nach Harlem [ 1 ], um zu sehen, ob es dort wirklich hungrige Kinder gibt. Die ersten Leute, die Yvonne Smallwood, Wanda Davis und ich dort trafen, waren die Panthers. Wanda fing sofort an, bei ihnen mitzumachen. Sie verliebte sich in einen Panther, trat der BPP bei u.s.w. Bei mir war das anders. Ich konnte einfach nicht glauben, daß es stimmt, was die Panthers sagten.
Zurück zu den hungrigen Kindern: Wir gingen also zurück zur Uni und berichteten, daß es viele Leute gibt, die ihr Essen aus den Müllcontainern zusammensuchen, die unter sehr schlechten Bedingungen leben usw. Die nächste Frage war, was wir dagegen tun sollten. Sollten wir unser eigenes Programm aufbauen, oder sollten wir uns an den Sachen beteiligen, die es schon gab. Denn die Panthers hatten zu diesem Zeitpunkt schon ihr kostenloses Frühstücksprogramm aufgebaut. Im wesentlichen beschlossen wir dann, daß verschiedene Mitglieder unserer Organisation im Frühstücksprogramm der Panther mitarbeiten sollten. Bevor wir zum College gingen, standen ich und andere also mitten in der Nacht auf und organisierten das Frühstücksprogamm mit. Wir sammelten die Lebensmittel, kochten das Essen, halfen den Kindern bei den Schularbeiten usw. Ich war aber immer noch nicht von dem, was die Panthers sagten, überzeugt. Ich konnte nicht glauben, daß es diese Gewalt gibt, diese staatliche Verschwörung. Ich konnte nicht glauben, daß die Polizei das tat, was die Panthers von ihr behaupteten etc.
Zwei Ereignisse brachten mich dazu, ernsthaft über die Vorstellungen der BPP nachzudenken und das, was sie vertraten, ernst zu nehmen: Die Polizei begann, Gerüchte über das Frühstücksprogramm zu verbreiten. Die Kinder blieben aus, und ich wunderte mich, warum. In Gesprächen mit einigen Eltern fand ich heraus, daß die Polizei ihnen erzählt hatte, daß wir den Kindern vergiftetes Essen geben würden. Deshalb brachten sie ihre Kinder nicht mehr zu uns. Das machte mich sehr wütend! Weißt du, wir standen da morgens zu einer unmöglichen Uhrzeit auf, um uns um dieses Programm zu kümmern, bevor wir dann zum College gingen.Ich studierte immer noch den ganzen Tag. Wir machten Essen und aßen dann auch direkt mit den Kindern zusammen. Die Schulen selbst hatten kein Frühstücksprogramm. Sie taten nichts dafür, daß die Kinder etwas zu essen bekamen, aber sie wollten auch nicht, daß wir dafür sorgten.
Dann gingen meine Freundin Wanda und ich einmal die 42ste Straße Richtung Times Square entlang. Ich war zu dem Zeitpunkt immer noch nicht in der BPP. Das alles machte mich noch immer nicht wütend genug, um der BPP beizutreten. An einer Ecke sahen wir eine große Menschenmenge und rannten hin, um zu sehen, was los war. Ein Panther verkaufte dort BPP-Zeitungen, und die Polizei belästigte ihn. Ich glaubte damals mit ganzem Herzen an den Rechtsstaat, also mischte ich mich ein. Einer der Polizisten entgegnete mir, daß er mich gleich mitverhaften würde, wenn ich nicht meinen Mund halten würde. Ich antwortete ihm, daß der Panther ein konstitutionelles Recht hätte, diese Zeitung zu verkaufen. Wortwörtlich sagte ich, er hätte ein konstitutionelles Recht, politische Literatur zu verbreiten (Lachen), und das nahm die Polizei nicht besonders freundlich auf. Sie fragten nach meinem Ausweis und forderten mich auf, mich mit erhobenen Händen gegen den Wagen zu stellen. Dann verhafteten sie mich wegen Behinderung einer Amtshandlung und Anstiftung zum Aufruhr. Sie legten mir, dem Panther und Wanda Handschellen an, stießen uns in den Polizeiwagen und fuhren mit uns runter zum 14ten Revier. Im Wagen sagten sie zu meiner Freundin Wanda sie konnte einfach nicht ihren Mund halten und beschimpfte sie die ganze Zeit, daß sie ihr den Schlagstock in die Vagina rammen würden, wenn sie nicht endlich still sei. Als wir dann auf dem Revier ankamen, redeten sie darüber, uns gleich dort an Ort und Stelle den Prozeß zu machen. Sie durchsuchten uns, warfen uns in eine Aufnahmezelle und beschimpften uns währenddessen ununterbrochen. Dann ließen sie eine Polizistin kommen, die unsere Körper durchsuchen sollte, und erzählten ihr, sie solle dabei Handschuhe tragen und sich danach die Hände waschen, weil sie sich von uns etwas einfangen könne. Dieses Erlebnis brachte mich schließlich dazu, der BPP beizutreten. Als ich raus kam, rief ich meine Mutter und meinen Vater an und sagte ihnen, daß ich der BPP beitreten würde, weil die Polizei mich selbst von der Wahrheit, von der Legitimität dessen, was die Panthers sagten, überzeugt hätte.
Ich bin seitdem nie mehr für etwas Banales verhaftet worden. Aber meine Freundin Wanda wurde noch oft für ihre Reden verhaftet.
Für mich war das damals eine ziemlich ernste Angelegenheit gewesen, weil die Polizei diese Autorität hat. Sie hat die gesellschaftliche Stellung und die Gewehre, und sie mißbraucht ihre Macht. Außerdem hat das, was sie sagt und tut, vor Gericht mehr Gewicht als das, was die einzelnen tun.

Wann war das?

Safiya: 1969

Und dann hast Du bei den Panthers in New York mitgearbeitet?

Safiya: Ja. Von 1969 bis ich 1974 in den Untergrund ging, habe ich im Harlemer Büro der BPP gearbeitet.

Warum bist Du untergetaucht?

Safiya: Von 1969 bis 1971, vor der Spaltung der BPP, war ich für die Organisierung und Politisierung eines bestimmten Stadtviertels verantwortlich. Ich verkaufte Zeitungen, organisierte die verschiedenen Einheiten und war für die politische Bildung in dieser Community zuständig. Ich machte alles, angefangen vom Zeitungsverkauf und Flugblattverteilen bis zur Anti-Drogen-Arbeit. Und langsam stieg ich in der Hierarchie der BPP auf.
1971, kurz nach der Spaltung, wurde ich für die Information und Kommunikation der gesamten Ost-Küsten-Panthers zuständig. In dieser Funktion war ich u.a. für die Organisation von Pressekonferenzen und die Veröffentlichung der Kommuniqués der Black Liberation Army (BLA) verantwortlich. Dadurch wurde ich zu einer direkten Bedrohung des Establishments. Sie nahmen nämlich an, daß ich Informationen hätte, die sie für die Verhaftung von BLA-Mitgliedern verwenden könnten. Also luden sie mich vor.
Schon vor dieser Vorladung waren eine Reihe von Zeitungsartikeln darüber veröffentlicht worden, daß ich das einzige BPP-Mitglied von Rang war, das keine Vorstrafen hatte. Weil ich nicht vorbestraft war, hatte ich nämlich einen Waffenschein. Ich besaß eine 8mm Mauser [ 2 ] und trug sie auch ganz legal auf jeder Pressekonferenz. Ich nahm sie mit nach Hause, und wenn ich ins Büro ging, trug ich sie auf der Straße in einem Halfter. Die Medien spielten das hoch als Panthers mit Waffen. Aber sie bemühten sich nicht, herauszufinden, daß ich die Waffe ganz legal besaß. Als sie es schließlich merkten, war ich plötzlich das einzige Panther-Mitglied von Rang ohne Vorstrafen.
Ich hatte mir durch meine Arbeit in der Community, von der ich viel Unterstützung bekam, dort eine Basis geschaffen. Außerdem hatte ich ein gewisses diplomatisches Geschick im Spiel mit den Medien. Auch das schien das System als eine politische Bedrohung zu sehen.
Als Antwort auf all die Razzien gegen Panthers und BLA-Mitglieder im ganzen Land haben wir dann 1970/71 das National Committee for the Defense of the Political Prisoners (Nationales Komitee für die Verteidigung der Politischen Gefangenen, d.Ü.) gegründet. Aber sie hielten die Briefe, die ich den Gefangenen ins Gefängnis schickte, sehr bald zurück.
Unser politischer Standpunkt damals war ganz klar, daß es uns nicht um Reformismus, sondern um politische Macht und eine Revolution ging, die eine qualitative Verbesserung der Lebensbedingungen der Leute um uns herum zur Folge haben muß. Es ging uns nicht um eine Politik im Stil der NAACP [ 3 ] oder etwas in der Art.
Eine Kommission des US-Senats untersuchte, welche Art von politischer Literatur in die Gefängnisse geschickt werden darf. Auch das stellte also eine Bedrohung für sie dar. Die Kontakte in die Gefängnisse machten aber einen großen Teil der Arbeit von Yuri Kojijama [ 4 ], mir selbst u.a. aus.
Im November 1973 dann wurden wir, drei andere legale Mitglieder der Harriet Tubman Brigade [ 5 ] der BLA und ich, wegen eines Ausbruchversuches von sechs BLA-Mitgliedern aus den Tombs [ 6 ] verhaftet. Diese Verhaftung war allerdings etwas vorschnell. Obwohl die ganze Sache in den Medien als großer Tombs-Ausbruch durch die Kanalisation gescheitert aufgespielt wurde, konnten sie uns nicht drinnen behalten. Der einzige Anklagepunkt gegen uns war minderschwerer Einbruch in die Kanalisation, was im Gerichtssaal großes Gelächter hervorrief.
In der Zwischenzeit hatte ich für die Polizei eine solche Bedeutung erlangt, daß sie ohne jede rechtliche Grundlage $10 000 auf meine Ergreifung aussetzte. Das war außerhalb jeder normalen Verfahrensweise.
Elf Leute und ich wurden dann zur Befragung durch die Grand Jury vorgeladen. Da ich mich dort nicht auf das Aussageverweigerungsrecht hätte beziehen können, hätte ich für jede Frage, die ich nicht beantworte, mit einer Beugehaftstrafe rechnen müssen.
Nuh [ 7 ] und ich haben das Ganze diskutiert und zusammen mit anderen entschieden, daß ich im April 1974 nicht vor der Grand Jury erscheinen, sondern abtauchen sollte. An diesem Punkt ging ich dann als Teil des Armistad Kollektivs der BLA in den Untergrund.

Um die Chronologie zu beenden, wann wurdest Du gefangengenommen?

Safiya: Ich war die Koordinatorin des Armistad Kollektivs. Eigentlich war ich die einzige weibliche Koordinatorin einer BLA-Einheit.
Wir wurden am 25. Januar 1975 bei einem Schußwechsel in Norfolk, Virginia verhaftet. Eine meiner Mitkämpferinnen, Komposi Armistad, wurde getötet und einem anderen ins Gesicht geschossen. In den ersten 30 Tagen sah es so aus, als würden sie uns wegen Mordes auf den Elektrischen Stuhl schicken. Sie taten es nur deshalb nicht, weil die Bundesstaatsregierung und der Oberste Gerichtshof zu dieser Zeit die Todesstrafe in Virginia als verfassungswidrig verboten.
Aber der Bundesstaat Virginia forderte allein wegen Waffenbesitz 900 Jahre, ohne sich darum zu kümmern, daß ich einen Waffenschein besaß. Es war ein Ein-Tages-Prozeß. Meine Kaution war für jeden Anklagepunkt auf eine Million Dollar festgesetzt worden. Es gab fünf Anklagepunkte, das macht fünf Millionen Dollar. Sie wiesen die Verteidigung an, vom Thema Kaution die Finger zu lassen, sie wählten die Geschworenen aus, machten uns den Prozeß und verlegten uns, alles an einem Tag.
Gleich zu Beginn des Prozesses warfen sie mich aus dem Gerichtssaal. Also verstehe ich Mumia (Abu Jamal) sehr gut, der während seines Prozesses auch nicht im Gerichtssaal war. Ich wurde in eine Zelle nebenan gesteckt. Sie war kalt und hatte einen Lautsprecher, der aber nur ein Knistern übertrug. Für die Urteilsverkündung brachten sie mich wieder rein. Ich bekam 40 Jahre, das heißt 10 plus 10 plus 20, das war für jeden Anklagepunkt das Minimum. Die Geschworenen wollten nicht, daß ich die Zeiten hintereinander absitzen mußte, aber der Richter erklärte ihnen, daß sie das nicht bestimmen könnten und sagte mir, ich müsse meine Strafen nacheinander antreten und jeden einzelnen Tag davon sitzen. Ich sagte ihm, er könne mich mal ...
In der gleichen Nacht noch haben sie uns beide zusammen ins Männergefängnis verlegt, wo mein Mitangeklagter blieb, dann wurde ich mit einem Konvoi ins Frauengefängnis nach Richmond, Virginia transportiert. Dort verbrachte ich die nächsten 21 Tage im Hochsicherheitsbunker, weil sie nicht wollten, daß ich mit den anderen Gefangenen zusammentreffe.

Wie bist Du aus der Isolationshaft rausgekommen?

Safiya: Ihrer eigenen Bestimmungen nach ist der einzige Grund, warum jemand in die Hochsicherheitsisolation kommt, ein Verstoß gegen die Gefängnisordnung. Ich hatte aber gegen keine dieser Bestimmungen verstoßen. Als sie mich also nach unten brachten, fragte ich sie nach dem Grund dafür, und sie antworteten mir, daß sie keinen Raum in der Quarantänehalle frei hätten. Daraufhin ließ ich mir eine Ausgabe der Gefängnisordnung geben, las sie durch und sagte ihnen, daß sie sich, falls ich hier nicht innerhalb von 21 Tagen draußen wäre, um einen Platz in der Quarantäne keine Sorgen mehr zu machen brauchen, weil ich sie dann vor Gericht bringen würde.
Also schickten sie dann am 19.Tag diese Vollzugsbeamtin runter zu mir, um mir mitzuteilen, daß ich in die Halle verlegt werde. Sie fragte mich, welche Absichten ich während meines Gefängnisaufenthalts verfolgen würde, und ich sagte ihr, meine Absicht sei es, hier in zwei Jahren wieder draußen zu sein. Daraufhin meinte sie, daß sie befürchtete, ich werde im Gefängnis für die BLA rekrutieren. Ich erklärte ihr, nicht die Absicht zu haben zu rekrutieren, weil ich eigentlich nichts vom Rekrutieren halte.
Ich glaube, daß Leute die Entscheidung, etwas zu tun, entsprechend der Bedingungen selbst treffen müssen. Wenn du sie rekrutierst, treffen sie ihre Entscheidungen nicht selbst, und es besteht die Gefahr, daß sie später aussteigen und dann sagen, daß sie jemand zu den Sachen, die sie gemacht haben, gezwungen hätte etc. Aber wenn sie eine bewußte Entscheidung treffen, dann gibt es niemanden, den/die sie später dafür verantwortlich machen können. Und sie entwickeln sich in diesem Entscheidungsprozeß auch selbst weiter.
Also sagte ich ihr, ich hätte nicht die Absicht zu rekrutieren. Daraufhin meinte sie, daß sie dann keine Probleme damit hätte, mich zu den anderen Gefangenen in die Halle zu lassen.
Schließlich verlegten sie mich am 21. Tag in das Gebäude dieser Beamtin, aber sie ließen mich nur mit Handschellen und bewaffneter Begleitwache zu den anderen Gefangenen. Ich durfte nicht an Bildungsprogrammen teilnehmen. Ich durfte nicht in der Küche arbeiten oder in der Wäscherei oder irgendwoanders, wo die Frauen arbeiteten, weil sie meinten, daß ich ein Sicherheitsrisiko sei. Ich konnte den Komplex nicht verlassen.
Nach dem ersten Jahr schickten sie mich zu einem psychologischen Test, um einschätzen zu können, wie sie mich behandeln müssen. Der Psychologe entschied, daß ich all diese kleinen dummen Tests, wie Bauklötze zusammensetzen etc., nicht machen muß. Er stellte mir stattdessen viele Fragen und sagte dann, daß er meine politischen Überzeugungen verstünde und sowas. In seinem Bericht schrieb er dann, daß ich mit ganzem Herzen an die Bewegung glauben und unerbittlich zu ihr stehen würde, zu einem Disziplinarproblem würde ich aber dann nicht werden, wenn sie mich mit meinem islamischen Namen anreden und mich respektvoll behandeln würden. Dann bezeichnete er mich noch als paranoid, weil ich glauben würde, daß da Leute hinter mir her wären.
Jedenfalls fast genau zwei Jahre später ich hatte ja gesagt, daß ich zwei Jahre da bleiben würde bin ich ausgebrochen. Das war Sylvester 1976. Eigentlich bin ich aus zwei Gründen ausgebrochen: Zum einen war es meine Überzeugung, daß es als Kriegsgefangene einfach unsere Pflicht sei auszubrechen. Von Anfang an hatten wir uns als Kriegsgefangene verstanden. Wir waren ja auch bei unserer Verhaftung SoldatInnen der Black Liberation Army und beriefen uns deshalb darauf, daß das Gericht kein Recht hätte, uns zu verurteilen.
Zum andern war ich auch deshalb vor meiner Verhaftung auf dem Weg in die Südstaaten, weil ich gesundheitliche Probleme hatte und mich operieren lassen mußte. Als ich dann gefangen genommen wurde, sagte ich ihnen das auch. Ihre Antwort war, daß sie sich später im Staatsgefängnis darum kümmern werden. Bei der Untersuchung dort stellten sie fest, daß ich Myome [ 8 ] von der Größe von Orangen oder Grapefruits in meiner Gebärmutter hatte und fragten mich nach meiner Haftdauer. Als ich ihnen antwortete, daß ich 40 Jahre bekommen hätte, entgegneten sie mir, ich solle in 10 Jahren noch mal wiederkommen. Ich legte Beschwerde ein. Aber das Gericht erklärte, daß es sich nur um eine Meinungsverschiedenheit zwischen dem Arzt und mir über die Art der notwendigen medizinischen Behandlung handeln würde. Ich bot ihnen an, meine Behandlung selbst zu zahlen, um eineN ÄrztIn von außerhalb kommen lassen zu können, aber das lehnten sie ab.
Einen Monat vor meinem Ausbruch bekam ich so starke Blutungen, daß ich während meines Ausbruchs drei dicke Binden tragen mußte, und sogar die mußte ich alle zwei Stunden wechseln. Ich hatte zwei Wochen lang Monatsblutungen, und das jede zweite Woche. Ich blutete einfach ganz entsetzlich. An dem Tag, an dem ich die Entscheidung traf, daß ich nicht länger auf medizinische Hilfe warten kann, stand ich in der Mitte des Traktganges und hatte ganz plötzlich einen Blutsturz aus der Vagina. Ich ging in die medizinische Abteilung des Gefängnisses, und dort gaben sie mir Urgatrade, ein Medikament, das die Blutung unter Kontrolle bringen sollte, und sagten mir, ich solle meine Füße hochlegen. Das war die Höhe! Sie schickten mich nicht zum Arzt oder ins Krankenhaus. Ich hatte den Eindruck, sie interessierten sich einen Dreck für meine Gesundheit.
Der Anstaltsarzt dort war in keiner Weise für die medizinische Behandlung von Frauen qualifiziert. Er war so schlecht, daß er in einem Falle eine Halsentzündung diagnostizierte, obwohl die Frau Krebs hatte. In einem anderen Fall sagte er einer Frau, die nur noch einen Eierstock hatte, sie hätte einen Tumor in ihrem rechten Eierstock. Sie hatte keinen rechten Eierstock mehr. Du konntest diesem Arzt einfach nicht vertrauen.
Als sie mir also dieses Urgatrade verschrieben und sagten, ich solle meine Füße hochlegen, beschloß ich, die Vorraussetzungen dafür zu schaffen, mich selbst um meine medizinische Versorgung zu kümmern.
Diejenigen von uns in der BLA, die in Haft waren, hatten ein sicheres Kommunikationssystem installiert, um weiterhin an der wie wir es nannten Konsolidierung, Organisierung und Strukturierung der BLA beteiligt zu sein. Ich war damals im Gebiet 2 für die Konsolidierung der BLA-Einheit und der Region zuständig. Mein Stellvertreter war Mark Holder, der im Gefängnis in Marion saß und für die Gegend dort verantwortlich war. Wir beide waren also für die gesamte südliche Ostküste zuständig. Sogar während wir im Gefängnis waren ... Ein Teil des Zentralkomitees der BLA war legal, ein Teil war im Gefängnis und ein anderer in der Illegalität.
Als ich die Entscheidung traf auszubrechen, teilte ich das dem Zentralkomitee durch unser Kommunikationssystem mit. Ich informierte den Koordinator der Gegend und die Leute draußen, die wissen mußten, daß ich dann nicht mehr dort sein würde, wo sie es erwarteten. Noch in der Ausbruchsnacht nahmen wir Kontakt zum Untergrund auf. Wir waren dann ungefähr zwei Monate draußen.
Am 27. Februar 1977 wurde ich wieder verhaftet und in das Gefängnis nach Virginia zurückgebracht.In dem darauffolgenden Prozeß brachte ich das Thema auf die schlechte medizinische Versorgung der Frauen im dortigen Gefängnis. Die Geschworenen und auch viele SchließerInnen und Krankenschwestern der städtischen Gefängnisse hatten großes Verständnis für mich, weil sie wußten, daß dieser Mann nicht qualifiziert war, daß die Leute in der Stadt ihn selbst nicht haben wollten. Der einzige Ort, wo er praktizieren konnte, war das Frauengefängnis. Woanders hätte es ihm niemand erlaubt. Das alles kam während des Prozesses ans Licht. Schließlich mußte der Richter den Geschworenen ein Verfahren wegen Mißachtung androhen, damit sie mich überhaupt schuldig sprachen. Er begründete das damit, daß Ausbruch wie ein Kapitalverbrechen, z.B.Mord, zu bestrafen sei. Also sprachen sie mich schuldig und verurteilten mich zur Mindeststrafe von einem Jahr. Ich hatte sowieso schon 40 Jahre bekommen, da kam es auf ein Jahr mehr auch nicht an. Und als ich aus dem Gerichtssaal geführt wurde, standen die Geschworenen davor und baten mich um Entschuldigung.
Das Ergebnis war, daß ich von drei ÄrztInnen von draußen eineN wählen durfte. Außerdem brachten sie mich in ein Krankenhaus in Richmond. Zu diesem Zeitpunkt war ich schon zwei Jahre im Gefängnis, und mein Zustand hatte sich so verschlimmert, daß sich Gewebebänder gebildet hatten, die meine Gebärmutter, die Eierstöcke und die Eileiter zusammenzogen. Wanda die Ärztin, für die ich mich entschied, hieß auch Wanda sagte, daß sie tun würde, was sie könnte, um noch etwas zu retten, aber das würde ein Kunststück werden. Schließlich hatte ich eine Totaloperation und nur noch einen Eierstock und das alles wegen der Fehlbehandlung dieses Arztes.
Danach hatte ich schwere, hormonell bedingte Depressionen. Ein ganzes Jahr lang war ich völlig fertig. Ich war noch immer in Hochsicherheitsisolation wegen des Ausbruchs. Dort blieb ich auch drei Jahre und sieben Monate. Das war die bis dahin längste Zeit, die jemand wegen Ausbruch in Isolationshaft war. Davor lag das Maximum für Ausbruch bei sechs Monaten Hochsicherheitsisolation. Ich mußte erst vor Gericht gehen, um da rauszukommen. Im Verlaufe des Verfahrens sagte der Gefängnisdirektor, ich würde zu einer Bedrohung für die Sicherheit der Freien Welt werden, wenn sie mich aus der Hochsicherheitsisolation entlassen würden. Jedenfalls kam ich 1981 aus der Hochsicherheitsisolation raus.
Als ich aus der Isolation kam, gründeten wir eine kleine Gefangenenorganisation namens Mothers Inside Loving Kids (Mütter im Gefängnis, die ihre Kinder lieben, d.Ü.) für Frauen mit Langzeitstrafen. Wir versuchten, die Entfremdung zu den Kindern zu überbrücken, damit die Gefangenen den Kontakt mit ihren Familien und ihren Kindern aufrecht erhalten können.
1983 dann beantragte ich vorzeitige Entlassung auf Bewährung, und schon im August 1983 war ich draußen.

Haben sie Dir Bewährungsauflagen gemacht?

Safiya: Ja, man verlangte von mir, daß ich mich nicht mehr organisiere. Ich sollte keiner BLA oder BPP oder sowas beitreten und niemals wieder eine Waffe in die Hand nehmen. Sie haben mir Fragen gestellt wie Glauben Sie an Gewalt?. Und ich antwortete ihnen daraufhin, daß keine Person, die die richtigen Ideen im Kopf hat, an Gewalt um der Gewalt willen glauben würde. Aber es gibt bestimmte Situationen, bestimmte Fälle, in denen du keine andere Wahl hast, in denen du alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft hast,dann mußt du auf Gewalt zurückgreifen.
Dann fragten sie mich noch, ob ich das, was ich getan habe, noch einmal so tun würde. Ich antwortete ihnen Nein, ich würde es nicht auf genau die gleiche Art und Weise machen. Denn eines ist ganz klar um eine Bewegung so voranzutreiben, wie wir es getan haben, hatten wir nicht die notwendige Bildungs- und Organisationsarbeit auf der Straße geleistet. Wir waren jung, idealistisch, und wir waren ungeduldig. Wir hätten zuerst eine Grundlage schaffen und mehr als nur 30 000 Leute organisieren müssen. In diesem Land leben zwischen 240 und 300 Millionen Menschen. Viele Leute auf dem Land und sogar in manchen Großstädten und in den Vororten wissen noch nicht mal, daß es irgendwo irgendwas in diese Richtung gibt. Sie leben unter völlig anderen Bedingungen. Das ist so, wie wenn wir über Mumias spezifische Situation reden und es Leute gibt, die noch nicht mal seinen Namen kennen.
Die Leute müssen so weit geschult sein, daß sie nachvollziehen können, wenn wir von einer Ebene des Kampfes in die nächste übergehen, daß sie wissen, was wir da tun. Damit schaffst du auch eine der Voraussetzungen dafür, die Leute nicht irgendwann in ein großes Gemetzel zu führen.
Die Bewährungskommission wollte mir auch zur Auflage machen, daß ich keine Leute um mich haben dürfe, die in der BLA oder der BPP waren oder die vorbestraft sind. Ich entgegnete ihnen, daß es völlig unmöglich ist, in einer Schwarzen Community zu leben und nicht von Vorbestraften umgeben zu sein. Außerdem sind diese Leute von der BPP und der BLA meine GenossInnen, meine Familie. Wenn sie mir also zur Auflage machen, ich solle mich von meiner Familie fernhalten, dann kann ich das nicht akzeptieren. Also sagte ich ihnen, daß sie sich darüber klar sein müßten, daß ich zu meiner Familie zurückgehe, wenn sie mich auf Bewährung entlassen würden. Und genau das habe ich auch gemacht, vom ersten Tag meiner Bewährung an. Ich war überrascht alle waren überrascht, daß ich überhaupt Bewährung bekam. Aber der Bundesstaat Virginia wollte mich einfach los werden, weil ich ihm im Endeffekt zu viel Geld kostete.
Kurz bevor ich das Gefängnis in Virginia auf Bewährung verließ, erhielt ich die erste Disziplinarstrafe wegen Verletzung der Anstaltsordnung seit meinem Ausbruch. Ich arbeitete zu diesem Zeitpunkt im Arbeitshaus, und weil ich raus auf das Gelände an meinem Arbeitplatz gegangen bin, um dort auf einer Bank Mittagspause zu machen, verhängte die Frau, die für dieses Arbeitshaus zuständig war, eine Disziplinarstrafe. Sie war sowieso schon völlig aufgebracht über die Tatsache, daß ich Moslemin bin. Sie war eine Christin und dachte, alle im Haus sollten Christinnen sein ... Ich aß kein Schweinefleisch, und wie kannst du Schwarz sein, im Süden leben und kein Schweinefleisch essen. Sie war richtig nervend mit ihrem Dies ist mein Haus! und Dies ist ein Gefängnis!. Sie strengte ein Disziplinarverfahren an und sperrte mich ins Haus. Ich durfte es nur für die Mahlzeiten verlassen. Das hat mir nicht viel ausgemacht, weil ich sowieso nur auf den Beginn meiner Bewährung wartete. Aber andererseits fand ich es nicht aktzeptabel, daß sie mir die Religionsfreiheit verweigerte. Ich strengte ein Verfahren gegen sie an und sagte ihr, daß ich nur noch über meinen Anwalt mit ihr reden würde.
Als ich dann Bewährung erhielt und nach Hause kam, lief das Verfahren noch. Irgendwann rief mich mein Rechtanwalt an, um mir zu sagen, daß das Urteil gesprochen worden war. Sie hatten mir Recht gegeben, die Schließerin gefeuert und mir Schadensersatz zugesprochen, obwohl ich das gar nicht gefordert hatte. Alles, was ich wollte, war, daß sie ihr klar machen, daß es nicht ihr Haus sei und sie es auch nicht so führen könne und daß sie den Leuten ihre Religion nicht vorschreiben könne. Nur das! Denn die anderen hatten Angst, etwas gegen sie zu sagen, weil die Frau ihnen mit dem Entzug ihrer Rechte und Privilegien drohte. Ich dachte einfach, daß Leute nicht damit durchkommen dürfen, ihre eigenen kleinen Gefängnisse zu führen. Ich wollte jedenfalls nicht, daß sie gefeuert wird, weil sie die einzige Schwarze Frau in dieser Position war. Aber sie hatte sich ihre Situation selbst zuzuschreiben.

Kannst Du mal darüber berichten, wie es war, die einzige Frau in der Illegalität zu sein, die eine BLA-Einheit anführte?

Safiya: In den Vereinigten Staaten ist Sexismus, egal wie politisch du bist, Teil der Kultur. Auch in der Schwarzen Befreiungsbewegung ist Sexismus ein starker Faktor, nicht nur weil die US-Gesellschaft eine sexistische Gesellschaft ist, sondern weil es auch in der Afrikanischen Kultur selbst Sexismus gibt. Es gibt Sexismus auch deshalb in der Schwarzen Kultur [ 9 ], weil die Schwarze Männlichkeit mit der Kulturzerstörung und der zwangsweisen Anpassung an eine neue Kultur, die mit der Sklaverei einsetzte, verneint wurde. In der Black Power-Bewegung der 60er, in der Nation of Islam [ 10 ] und sogar schon in der Garvey-Bewegung [ 11 ] und davor gab es immer diese Suche nach der Schwarzen Männlichkeit. Du kennst doch den Slogan Garveys Rise up you mighty Black Men (Steht auf, ihr mächtigen Schwarzen Männer, d.Ü.) oder den Panther Slogan Stand up to be Men (Steh auf und sei ein Mann, d.Ü.).
In der Black Power-Bewegung und der kulturell-nationalistischen Bewegung stellten sie sich ziemlich offen auf den Standpunkt, daß der Platz der Frau in der Kirche sei und daß sie auf dem Rücken liegen und der Nation Kinder gebären soll. Auch in der BPP und der BLA die BLA entstand aus der BPP, da Mitglieder der BPP keiner anderen bewaffneten Organisation außer der BLA beitreten durften entwickelte sich dieses ganze Macho-Gehabe. Die einzelnen Mitglieder selbst trugen eine Menge Sexismus in sich, auch wenn es gleichzeitig eine offizielle anti-sexistische Organisationsposition gab. Die BPP existierte ja nur sieben Jahre. Das war nicht genug Zeit, um dieses strukturelle Problem anzugehen.
Also gab es all diese Männer in führenden Positionen. Obwohl Kathleen Cleaver beispielsweise eine zentrale Position im Zentralkomitee hatte, blieb sie doch Eldridge Cleavers Ehefrau. Sie spielte also keine eigentliche Rolle als Kommunikationssekretärin im Sinne einer unabhängigen Arbeit und Stimme, sondern sie war mit Eldridge Cleaver verheiratet, und er war Informationsminister, also war sie Kommunikationssekretärin. Frauen wurden sowieso immer mehr oder weniger als Sekretärinnen angesehen.
Es gab nur ein paar wenige Frauen an der militärischen Front und in politischen Positionen, die dort die gleiche Arbeit wie die Männer machten. Und es waren nur sehr wenige Frauen, die nicht nur die gleiche Arbeit machten, sondern auch den Sexismus bekämpften.
Als ich 1969 der BPP beitrat, versuchte ich von Anfang an klarzustellen, daß ich nicht gekommen bin, um irgendjemandes Sex-Spielzeug zu werden, daß ich das, falls ich es wollen würde, auch außerhalb der BPP hätte sein können.
Als ich dann die Entscheidung traf, in den Untergrund zu gehen, tat ich das, weil ich wußte, das ist der nächste Schritt, das ist es, was ich will.
Ich hatte zu diesem Zeitpunkt in den Kollektiven, in denen ich gearbeitet habe, schon wichtige Erfahrungen gesammelt. Zuerst in der Harriet Tubman Brigade, die ausschließlich für den Kampf um die Freilassung der Kriegsgefangenen verantwortlich war, und dann in Wretched Earth [ 12 ], die für das gleiche Ziel kämpfte. Wir verstanden uns als Kollektiv im wahrsten Sinne des Wortes.
Es gab in dieser Zeit keine eigentliche Führung der Einheiten. Als dann das Armistad Kollektiv zusammenkam, entschieden wir, uns straffer zu organisieren. Wir wollten Verantwortlichkeit und Disziplin, während viele andere Einheiten nicht so durchorganisiert waren. Wir wollten uns eine Struktur geben. Wir hielten Wahlen ab und entschieden so aufgrund der Qualifikation, nicht des Geschlechts wer/welche welche Position bekam. Es gab Schulungen, es gab alles wir hatten sogar Erholungsprogramme, weil wir es wichtig fanden, daß es Zeit für Pausen und Erholung gibt. Meine Verantwortung als Koordinatorin der Einheit bestand darin, alles zusammenzuhalten und sicherzustellen, daß Entscheidungen nicht emotional, sondern auf einer objektiven Basis getroffen wurden. Außerdem sorgte ich dafür, daß eine Arbeitsteilung eingehalten wurde, bei der die Frauen nicht immer die weiblichen Arbeiten machten und als Sexobjekte angesehen wurden. Das funktionierte auch. Wir waren in der Lage, die Position, daß wir GenossInnen sind, in der Einheit zu bewahren. Wir respektierten die Individualität der anderen und die Fähigkeiten der einzelnen. Außerdem waren wir diszipliniert genug, nicht gegen Drogenregeln zu verstoßen, unsere Arbeit nicht unter Drogeneinfluß zu machen usw. Das war nämlich ein ziemliches Problem der Bewegung, des Untergrunds. Wir hatten das alles schon vor der Gründung unserer Einheit analysiert. Ich glaube, das ist eine der Sachen, die sich daraus ergeben, Koordinatorin zu sein, weil Frauen ein praktischeres Herangehen an Sachen haben als Männer. Das machte, denke ich, unsere Einheit etwas anders als andere. Obwohl ich und ein anderer Genosse verhaftet und eine Frau aus meiner Zelle getötet worden waren, wurde darüberhinaus niemand sonst aus unserer Einheit, die aus acht Leuten bestand, jemals gefangen genommen. Die anderen überlebten und konnten weitermachen. Und um den, der uns verraten hatte, wurde sich gekümmert, so daß er niemand anderes mehr verraten konnte.
Außerdem: auch wenn ich es nicht gerade begrüßt habe, im Gefängnis zu sein, konnten wir doch auch weiterarbeiten. Während des Gerichtsprozesses konnten wir die Community erreichen. Die Community war das Unterstützungsnetz, auf das wir uns bezogen.

Was passierte mit Deinem Mitangeklagten?

Safiya: Er ist draußen. Er lebt in Chicago. Nachdem ich als erste rauskam, setzten wir die Arbeit, ihn auch rauszuholen, fort. Ich blieb da ziemlich dran und sagte den Leuten, daß ich zwar draußen bin, aber solange er noch drinnen ist, bin ich nicht wirklich draußen, verstehst du. Diese Art von Zusammenhalt hatten wir in unserer Einheit beibehalten. In vielen Fällen kamen Leute aus dem Gefängnis, machten einfach weiter und vergaßen die Leute, mit denen sie zusammen verhaftet worden waren.

Wie war das für Dich mit deiner Tochter? Sie war ja schon geboren, bevor du in die Illegalität gingst?

Safiya: Ja, sie war damals vier Jahre alt. Ihr Vater wurde während der Spaltung der BPP getötet. Es gab zwei direkte Opfer der Spaltung Robert Webb an der Westküste und Samuel Napier an der Ostküste, der New Yorker Seite der Spaltung. Robert Webb, der Vater meiner Tochter, war einer der Leibwächter von Huey Newton [ 13 ]. Er wurde von Leuten aus New York auf Befehl ermordet. Als Vergeltungsmaßnahme ermordeten Leute von der Westküste Samuel Napier. Daß wir uns gegenseitig ermordeten, war das schlimmste ... Die Polizei konnte sich zurücklehnen und lachen. Sie brauchten sich nicht selbst um die Panther zu kümmern, die Panthers töteten sich gegenseitig. Das war für viele von uns eine sehr, sehr kritische Zeit.
Sam war ein großer Verlust für die Bewegung, weil er für die Verteilung der Zeitung verantwortlich war. Er lebte und starb für die Zeitung. Und Robert war ein Verlust einmal persönlich, wegen unserer Beziehung, aber auch politisch, weil er wußte, wie man einen militärischen Apparat aufbaut. Er war in der US-Armee gewesen und arbeitete seit seiner Entlassung für die Befreiung unseres Volkes. Er war der stellvertretende Feldmarschall der BPP. Er besaß das entsprechende Wissen und die Beziehungen dafür und einen Kopf für die Sicherheit der Bewegung.
Jedenfalls hat meine Mutter kurz vor der Spaltung meine Tochter in ihre Obhut genommen. Robert [ 14 ] und ich machten Pläne, um aus der Illegalität wieder aufzutauchen, um Wanda ich habe meine Tochter auch Wanda genannt zu uns zu holen. Dann war Robert tot, und ich befand mich 1974 in einer sehr unsicheren Position, und es war besser, sie bei meiner Mutter zu lassen. Also rief ich sie an und sagte ihr, daß sie meine Tochter bei sich behalten solle. Dann übertrug ich ihr die Vormundschaft, denn der Staat versuchte immer wieder, Panthern mit der Begründung, sie seien schlechte Eltern, die Kinder wegzunehmen. Das wollte ich nicht riskieren. Darüberhinaus traf ich Vorbereitungen für ihre künftige Schulbildung und alles andere und ging in den Untergrund.
Sogar als ich gefasst wurde, versuchte der Staat noch, sie mir wegzunehmen. Einmal versuchten sie einfach, sie zu entführen und als Druckmittel gegen mich zu verwenden, um mich im Gefängnis zum Reden zu bringen. Oft rief ich meine Mutter nur an, um sicherzugehen, daß sie sie nicht mit Fremden mitgehen ließ. Einmal kam diese Frau zu meiner Mutter und sagte ihr, sie wäre meine beste Freundin, und ich hätte ihr erlaubt, Wanda übers Wochenende mitzunehmen. Ganz zufällig rief ich genau an diesem Wochenende zu Hause an, und als mir meine Mutter davon erzählte, stellte sich heraus, daß ich den Namen dieser Frau noch nie vorher gehört hatte. Aufgrund solcher Ereignisse entschieden wir, daß sie nirgends allein hingehen durfte, daß sie zur Schule gebracht und auch wieder abgeholt werden mußte, daß wir ihr einfach kein normales Leben erlauben konnten, weil sie sogar soweit gingen, Kinder zu benutzen, um von den Eltern Informationen zu erhalten. Es war sehr schwer, im Gefängnis zu sein und zu wissen, daß meine Tochter das Ziel solcher Angriffe ist.

Verstand sie, was los war?

Safiya: Sie hat es niemals verstanden. In gewisser Hinsicht dachte sie, ich habe sie im Stich gelassen, weil ich ins Gefängnis ging. Und sie hat niemals verstanden, warum sie so strikt überwacht und kontrolliert wurde. Sogar jetzt noch hat sich nichts wirklich geändert. Ich bekomme es immer noch mit, wenn irgendjemand sie irgendwo gesehen hat oder was sie tut. Es gibt keinen Ort, an dem die Leute nicht wissen, daß sie meine Tochter ist. Deshalb muß sie sehr genau aufpassen, was sie tut.

Als wir anfingen, uns mit der BPP und der BLA zu beschäftigen, war der einzige Frauenname, der erwähnt wurde, der von Assata [ 15 ]. Warum ist das so?

Safiya: Wegen der Medien. Ich glaube, der Grund, warum ihr so viel über Assata hört, ist im wesentlichen, weil sie 1973 durch die Schießerei und die Umstände ihrer Verhaftung so bekannt geworden ist. Als die Polizei nach ihr fahndete, bezeichneten die Medien sie als die Seele der BLA. Das war eine große Medienlüge, aber die Leute haben die Tendenz, auf die Medien zu hören. Damals war Assata eigentlich gar nicht sehr politisch. Seit sie auf Kuba ist, ist ihre politische Entwicklung erstaunlich. Es gab eine Zeit, in der du mit Schwarzen Frauen aus der Bewegung nicht über Assata reden konntest, weil wir alle die wirkliche Geschichte kannten. Eine Menge der Sachen, die sie sagte, waren Sachen, die andere Leute geschrieben und sie gelesen hatte oder die sie einfach von ihnen übernommen hatte. Aber jetzt ist das anders. Sie hat vieles überlebt, viel gelernt, viel studiert und sich weiterentwickelt.
Ich denke, daß es falsch ist, daß sich die Leute ausschließlich mit Assata beschäftigen, obwohl es da noch eine Menge anderer Leute im Exil gibt, die nie erwähnt werden. D.C. [ 16 ] war in Frankreich im Exil und ist jetzt in einem anderen Land. Ich bin da gewesen. Es geht ihm sehr schlecht. Er hat keinen finanziellen Rückhalt. Die Hälfte der Zeit hatte er im wahrsten Sinne des Wortes kein Geld, um sich Essen zu kaufen. Es gibt dort keine Arbeit etc. Und er ist sehr stolz. Er will niemanden um etwas bitten, weil er alles alleine schaffen will. Im Moment schreibt er an einem Buch über die Geschichte der BPP. Er kann nicht in die USA zurückkommen, weil er noch Verfahren offen hat und zur Zeit seine Lage sehr gefährdet ist. Aber weil er kein Geld hat, kann er auch nicht woanders hingehen. Auch in einigen afrikanischen Ländern und in Europa gibt es noch ExilantInnen. Es kennt nur niemand ihre Namen.
Wir haben einfach die Tendenz, uns Superstars zu schaffen, die dann unsere gesamte Aufmerksamkeit erhalten haben. Und die in der zweiten Reihe, die Masse, die, die die Kleinarbeit machen und deren Namen niemand kennt, die können vor sich hinfaulen. So baust du keine Bewegung auf. Wenn du die Leute deiner Bewegung nicht unterstützt, die die Opfer gebracht haben, wie willst du dann irgendjemanden dazu bringen, sich zu engagieren?
Du kennst die Namen von Doruba Bin Wahad [ 17 ], von Geronimo ji-jaga Pratt [ 18 ] und den New York Three [ 19 ], aber all die anderen, die in den Gefängnissen sitzen ohne AnwältIn, ohne irgendwas, deren Namen kennt niemand. Meistens gibt es niemanden, der/die sich für sie einsetzt, sie bekommen keine Besuche, noch nicht einmal von ihren Familien. Aber ihre Familien waren ja auch nicht mit ihnen in der Bewegung, für die sie im Gefängnis sind. Sie haben diese Entscheidung nicht getroffen. Und die Leute, die mit ihnen Teil dieser Kämpfe waren, erinnern sich nicht mal mehr an ihre Namen.

Gibt es Deiner Meinung nach heute Leute, die versuchen, den Kontakt mit diesen GenossInnen wieder aufzubauen?

Safiya: Das ist einer der Gründe, warum wir das New York Three Newsletter [ 20 ] machen.Wir versuchen, bekannt zu machen, wo sie sind, was gerade mit ihnen passiert, weswegen sie verurteilt wurden, und ein Netzwerk für unterschiedliche politische Gefangene aus unterschiedlichen Kämpfen zu bilden. Wir versuchen, den Leuten klar zu machen, daß es notwendig ist, sich zu engagieren. Und wir arbeiten gegen den Personenkult, damit die Leute sich mit dem gesamten Thema politische Gefangene beschäftigen und nicht nur eineN einzelneN GefangeneN unterstützen.
Auch bei den Brothers in den Gefängnissen selbst bis auf die MOVE Gefangenen und die weißen Anti-ImperialistInnen sind es vor allem Brothers, die in den Gefängnissen sind, weil an der Schwarzen Bewegung damals überwiegend Männer beteiligt waren, vor allem bei den Panthers und in der BLA versuchen wir diese Grenzen zu überwinden und das gesamte Thema politische Gefangene zur Sprache zu bringen. Sie fangen jetzt auch selbst an, darauf zu bestehen, daß sie als Mitglieder von Organisationen ins Gefängnis gekommen sind und dementsprechend nicht als Einzelfall behandelt werden wollen.
Ein weiteres Problem ist, daß es Gefangene gibt, die nach 20 Jahren rauskommen, und kein Mensch kümmert sich um sie. Es spricht nicht gerade für unsere Bewegung, daß wir es zulassen, daß unsere Kämpfer ins Obdachlosenheim müssen, wenn sie rauskommen. Es muß vieles getan werden. Es ist ein Teil der Verantwortung uns selbst gegenüber, die Grundlagen dafür zu schaffen, denn das ist es erstmal: der Aufbau von Grundlagen.
In einer Bewegung müßte es z.B. immer einen Rechtshilfefond geben. Damit sich, falls die Bewegung aufgerollt wird, die inhaftierten GenossInnen eineN RechtsanwältIn leisten können und nicht erst dann angefangen werden muß, Geld zu sammeln. Genauso sollte eine Struktur für die Befreiung politischer Gefangener entwickelt werden, damit es, wenn auf dem juristischen Weg nichts erreicht wird, sofort eine Alternative gibt.
Und für die, die rauskommen, müßte es auch einen Fonds geben. Ich weiß, daß ich persönlich von acht Jahren und acht Monaten Haft ziemliche psychische Schäden davongetragen habe. Es muß eine Möglichkeit geben, daß du langsam wieder ankommen kannst und ... dich de-programmieren kannst. Denn das ist es, was die Zeit im Gefängnis bedeutet: eine Zeit der Programmierung. Also mußt du dich de-programmieren. Mir ging es so nach fast neun Jahren Gefängnis ... und manche Leute waren 15, 17 oder 20 Jahre drinnen. Die brauchen es noch viel nötiger, als ich es gebraucht habe. Aber wir haben solche Möglichkeiten nicht.
Wenn ich von den Grundlagen rede, die wir für den Kampf in diesem Land aufbauen müssen, meine ich das Elementare, die Basis für einen militärischen Apparat und einen politischen Kampf. Auf der politischen Ebene brauchen wir unsere eigenen Kommunikationszentren, damit wir uns keine Sorgen darüber machen müssen, wie wir z.B. Infos drucken. Im Moment brauchen wir Leute, die die notwendige Ausbildung haben, um Infos über Radio und Fernsehen zu verbreiten. All das haben wir nicht.

Diese neuen Grundlagen glaubst Du, daß Leute wie Du, Leute mit einer Geschichte in der BPP, sie schaffen werden? Oder denkst Du, daß eine ganz neue Generation oder daß die Nation of Islam sie aufbauen werden?

Safiya: Ich glaube nicht, daß die Nation of Islam das zur Zeit tut. Ich sehe im Moment nicht, daß irgendeine organisierte Gruppe das gerade tut. Dafür muß eine völlig neue Art zu denken entwickelt werden. Ich denke, in allen diesen Strukturen gibt es Leute, die neue Ideen und Perspektiven haben und die in der Lage sind, alles, was für eine solche Grundlage notwendig ist, zusammenzufassen und damit anzufangen. Aber die Frage ist, ob sie wirklich wissen, was sie wollen.
Sehr oft erleiden wir Rückschläge in unseren Communities. Zwischen den Wahlen sehen die Leute, wie schlecht ihre Situation ist und sind desillusioniert über die Wahlen. Und dann kommt jemand daher, der sagt, alles, was ihr braucht, ist ein Regierungswechsel, dann wird alles besser. Und dann geht alles wieder von vorn los.
Oder es gibt starke Führungsleute, die revolutionär sind oder doch zumindest revolutionäre Parolen in den Mund nehmen, und dann bietet ihnen jemand ein Stück vom Kuchen an, und sie werden weich, so wie Sister Souljah [ 21 ] kürzlich. Zuerst redete sie so eifrig über die Notwendigkeit einer Schwarzen Armee. Dann griff Bill Clinton sie wegen ihres Statements über Weiße an. Sie hatte gesagt, daß Schwarze, statt sich gegenseitig, eine Woche lang mal Weiße umbringen sollten. Das erste, was sie daraufhin sagte, war, daß sie nie eine Waffe besessen hätte, daß sie niemals Gewalt befürwortet hätte, daß sie nur blablabla ... Ihr ganzes Gerede lief darauf hinaus, daß wir unsere eigene unabhängige Partei gründen und an die Situation technisch herangehen sollten. Ich will sie zwar nicht mit einer revolutionären Führerin vergleichen, aber was ich meine ist: wenn solche Leute mal was zu sagen haben und jemand sie angreift oder ihnen jemand eine Eintrittskarte in eine einflußreiche Position anbietet, dann ist es plötzlich alles nur eine Sache von Das-war-an-diesem-Punkt-gerade-das-Beste-für-mich oder eine Frage des Geldes gewesen, und sie ändern ihre Meinung. Das haben wir, glaube ich, oft erlebt: jemand findet für sich selbst eine Tür, durch die er/sie gehen kann, und dann vergißt er/sie die auf der anderen Seite.
Ich glaube, daß ein Teil einer neuen Bewegung auch die Leute der alten Schule sein können, die offen genug sind, zu erkennen, daß sie nicht der Mittelpunkt sind, daß die Leute nicht zuerst zu ihnen kommen müssen, bevor sie einen Schritt vorwärts gehen. Die Leute der alten Schule haben auch keine endgültigen Antworten. Die Leute, die in der BPP waren, denken oft, daß eine Bewegung, die nicht wie die Panthers ist, nicht funktioniert. Aber das stimmt nicht. Die BPP hat auch Fehler gemacht. Viele von uns im Gefängnis haben darüber geredet, daß wir neue Ideen und neue Leute finden müssen. Wenn wir sie nicht finden und nicht aus unseren Fehlern lernen und darauf aufbauend einen Schritt nach vorn machen, dann gibt es für die Kämpfe in diesem Land keine Hoffnung. Wenn wir weiterhin daran festhalten zu sagen: Das ist mein Kampf, und niemand sonst kann ohne meine Erlaubnis bestimmen, wie und in welche Richtung er sich entwickelt, oder: Das ist mein Gebiet, Betreten verboten!, dann vernichten wir damit unsere eigenen Ziele.
Eines unserer Ziele muß die Vereinigung vieler dieser verschiedenen Organisationen sein. Das haben wir bisher nicht geschafft, weil die verschiedenen Egos dem im Weg stehen. Sie haben einen sehr, sehr großen Anteil an der Zersplitterung der Bewegung und daran, daß wir nicht weiterkommen. Wenn du dir die Köpfe dieser Organisationen ansiehst: alle sind Männer. Sie spalten sich untereinander und bilden kleine Gruppen von vielleicht 30 Leuten. Sie rufen zu diesen kleinen Demonstrationen auf und erreichen immer die gleichen Leute, nie jemand neues. Und dann sagen sie, die Massen sind bereit für den bewaffneten Kampf. Nur die Leute, die auf eine bestimmte Demonstration kommen oder die, die WLIB [ 22 ] hören, sind vielleicht bereit. Und die sind vielleicht nur zum Reden bereit und nicht dafür, etwas Konkretes zu tun. Wenn ich in andere Bezirke, in die Communities, wenn ich zu meiner Mutter nach Queens [ 23 ] gehe, dann weiß ich, daß die Leute nicht bereit sind. Und wenn der bewaffnete Kampf jetzt beginnen würde, wüßten die meisten Leute aus den Gruppen nicht mal, wie sie die Verwundeten versorgen sollten, oder wie sie die Polizei daran hindern könnten, die Türen einzutreten.

Ich würde gerne wissen, was mit der BLA nach 1981 passiert ist, nach Brinks. Danach haben wir nämlich nichts mehr von ihnen gehört.

Safiya: Eines muß einmal klargestellt werden Es gab zwei BLAs. 1976/77 endete die alte BLA. Die Leute, die danach in der BLA arbeiteten, waren nur noch Überbleibsel, Reste von ganz verschiedenen Gruppen. Sie sind in viele negative Sachen reingeraten, und die Polizei wußte davon. Sie wußte, daß sie Drogen nahmen und auch verkauften, und haben dieses Wissen dazu eingesetzt, das Image der BLA zu zerstören.
Brinks war aufgrund der Drogen eine ziemlich üble und destruktive Sache für unsere Communities. Ich war im Gefängnis in Virginia, als diese Brinks-Sache lief [ 24 ], aber innerhalb von zwei Tagen wußte ich sämtliche Namen der Beteiligten und zwar nicht nur die der Verhafteten, sondern auch die derjenigen, die sie nicht gefangengenommen haben.
Schon vor Brinks [ 25 ] hatten diese Leute Enteignungsaktionen durchgeführt, die wir Raub nannten, weil da nichts Politisches dabei war. Sie haben das Geld für Reisen verwendet, für Kleidung und um ihren Drogenkonsum zu finanzieren. Und hin und wieder haben sie Geld in die Gefängnisse geschickt. Aber insgesamt war es simpler Drogenhandel. Als die, die sich damals BLA nannten, begannen, sich mit der Befreiung von Assata zu beschäftigen, waren es im wesentlichen die weißen Anti-ImperialistInnen, die ihren Ausbruch konkret planten. Die Teilnahme der Revolutionary Armed Task Force [ 26 ] hatte sich in vier verschiedene Fraktionen aufgespalten. Viele der Weatherpeople werden beschuldigt, die Drogen in die Bewegung gebracht zu haben. Das Ganze endete damit, daß behauptet wurde, der Verkauf von Drogen sei einfach eine Art, Geld zu beschaffen und du mußt gebrauchen, was du hast, um zu bekommen, was du brauchst. Auf diese Art und Weise haben sie ihre Verstrickung in den Drogenhandel gerechtfertigt. Sogar später noch, als ich dann draußen war, habe ich ein früheres BLA-Mitglied getroffen, das mir sagte, daß es o.k. sei, Kokain zu verkaufen. Ich antwortete ihm ganz klar, daß ein Drogendealer ein Drogendealer sei. Wenn du in der Community Drogen dealst, gibt es keinen Unterschied zwischen dir und den anderen, die das machen.
Einer derjenigen, der an der Brinks-Sache beteiligt war, war ein frühreres Mitglied einer der BLA-Zellen, in der ich gewesen war. Er war damals nicht verhaftet worden. Als dann der Prozeß gegen Mutulu Shakur [ 27 ] und Marilyn Buck [ 28 ] begann Marilyns Prozeß war schon im Gange, als Mutulu verhaftet wurde und der Staat ihre Prozesse 1986 zusammenlegte , sollte er gegen Mutulu aussagen. Bevor er seinen Termin zur Zeugenaussage hatte, gingen eine andere Person aus seiner ehemaligen Einheit und ich zu dem Haus seiner Mutter und redeten mit ihm. Niemand vor uns hatte das versucht. Die, die damals in der BLA waren, arbeiteten mit Leuten zusammen, von denen sie nicht wußten, wer sie eigentlich sind, wie sie vorher gelebt hatten. Sie wußten gar nichts über sie. Das fand ich wirklich seltsam. Wie kannst du eine Zelle aufbauen mit Leuten, von denen du gar nichts weißt? Das ist der völlige Zusammenbruch aller Vorstellungen von Sicherheit.
Aber in diesem Fall ging es gar nicht um Sicherheit, denn er erzählte uns, daß alle Leute, aber auch wirklich alle, von der Beteiligung am Drogenhandel wußten. Einige Leute nahmen zwar keine Drogen, wußten aber davon. Trotzdem konnten wir ihn davon überzeugen, das alles nicht auszusagen. Dann verhaftete ihn die Polizei und führte ihn zwangsweise vor. Die Leute, die bei dem Prozeß waren, wollten nichts mit ihm zu tun haben. Sie wollten nicht mal mit ihm reden. Meiner Meinung nach ist es immer wichtig, den Schaden zu begrenzen. Außerdem waren wir in einer BLA-Zelle zusammen gewesen, und er war für mich wie ein Bruder. Also ging ich zu ihm und sagte: Du hast selbst die Entscheidung getroffen, da mitzumachen. Du kannst niemand anderem die Schuld dafür geben. Obwohl ich mit diesen Drogensachen nicht einverstanden bin, damit nicht und mit allem anderen auch nicht, ist Aussteigen eine Sache, jemand anderes ins Gefängnis zu bringen, ist eine ganz andere. Er ging in den Zeugenstand und gab keine Informationen preis, die irgendjemandem geschadet hätten. Obwohl die Leute der Organisation das Ausmaß dessen, was wirklich passiert war, kannten, hielten sie daran fest, daß alles ein Frame-up, ein Polizei-Konstrukt sei. Die Leute in der Community unterstützten die Brinks-Leute kaum, weil sie sehr wohl von dem Drogenkonsum und -verkauf wußten.

Ich dachte, daß Mutulu Shakur in einem Detox Programm [ 29 ] arbeitete?

Safiya: Er arbeitete in einer Drogenklinik in der Bronx, dem Lincoln Hospital [ 30 ], und gründete dann BAANA [ 31 ]. Dort machten sie Entzug mit Hilfe von Akupunktur. Sie hatten die entsprechende Ausbildung für diese politische Arbeit und machten sie auch. Aber irgendwann wurden sie in die Drogengeschäfte, die dort auf der Straße abgingen, verwickelt.
Ich habe mit Mutulu darüber geredet, weil ich enttäuscht darüber war, daß sie als Revolutionäre und politische Menschen an keinem Punkt einfach gesagt haben Ich habe einen Fehler gemacht! Wenn sie zu dem gestanden hätten, was sie getan haben, dann hätten sie wenigstens das Vertrauen der Menschen in der Community nicht verloren. Aber Mutulu sagte, während des Prozesses wäre die Entscheidung getroffen worden, nicht darüber zu reden.
Als ich Mutulu traf, war er in der Organisation Republic of New Afrika [ 32 ]. Er war eine Bereicherung für diese Organisation, weil er eine umfassendere politische Sichtweise als nur die Befreiung der fünf Südstaaten hatte. Er kommt von der Straße, war Gang-Mitglied gewesen, bevor er mit Herman Ferguson [ 33 ] arbeitete. Deshalb konnte ich einfach nicht glauben, daß er der Drogenszene zum Opfer fallen konnte.
Sundiata Acoli [ 34 ] und ich organisierten eine unabhängige Untersuchung über den Drogenkonsum und -handel und darüber, wer daran schuld war und wer nicht. Man muß bedenken, daß diese Leute gerade ihren Prozeß hatten und wir sie nicht gefährden wollten. Gleichzeitig wollten wir aber auch den Drogenhandel und -konsum nicht unterstützen, besonders den von politischen Leuten nicht, die die politischen Standpunkte zu Drogen genau kannten. Wir wollten eine unabhängige Untersuchung durchführen und gleichzeitig keine Position beziehen, die ihnen die Unterstützung während der Prozesse entzog.
Mutulu hatte mich gefragt, ob ich in seinem Unterstützungskomitee mitarbeiten würde. In meinem Job hatte ich mit Leuten zu tun, die mit ihm gedrückt hatten, deshalb konnte ich seine Verteidigungsposition, daß das alles nur ein Polizei-Konstrukt sei, nicht einfach unterstützen. Ich wollte, daß er eine klare Position zu Drogen bezieht und die Wahrheit erzählt, damit die Jugend, die zu ihm aufschaute, sehen konnte, daß Drogen verkehrt sind.
Ich habe mich dann mit ihm darauf geeinigt, in der Öffentlichkeit nicht gegen ihn zu sprechen. Aber als ich dann hörte, daß Leute sagten, ich würde seine Verteidigungsbemühungen blockieren, da verschaffte ich mir die Möglichkeit, ihn besuchen zu gehen ich war ja noch immer auf Bewährung und sagte ihm, wenn ich mich völlig gegen ihn hätte stellen wollen, dann hätte ich ein paar Sachen, die ich weiß, mal öffendlich erzählen können. Zum Beispiel die Geschichte der Frauen, die Mitglieder der RNA [ 35 ] und der BLA gewesen waren und die nun so auf Drogen waren, daß sie noch nicht mal Pampers für ihre Kinder kaufen gingen. Eine dieser Sisters hatte kleine Zwillinge, eine neunjährige Tochter und zwei Söhne, und immer wenn sie auf Drogen war, hörte sie auf, sich um diese Kinder zu kümmern. Angefangen hatte sie mit den Drogen, als sie im BAANA war. Dort hatten sie nichts getan, um ihr zu helfen, wieder clean zu werden. Ich sagte Mutulu, daß ich sehr enttäuscht darüber sei, daß sie das alles als Siege darstellen.
Weil wir nicht unabhängig von den Bedingungen in dieser Gesellschaft leben, ist die Praxis des Kampfes oft sehr ermüdend und schwierig. Niemand erwartet von uns, daß wir unbesiegbar und immer so stark sind, daß wir alles ertragen können und uns dem Druck nie beugen. Es gibt z.B. psychische Zerrüttungen als Spätfolgen von Stress: Viele Leute der BPP und der BLA, die in der Bewegung aktiv waren, sind jetzt AlkoholikerInnen oder drogenabhängig oder steinharte KapitalistInnen oder einfach obdachlos. Ich kenne einen Brother, der jetzt auf der Straße lebt und dessen Kopf völlig verwirrt ist. Es ist verständlich, daß Leute Drogen nehmen, um die Bedingungen, unter denen sie leben, zu vergessen.
Aber du mußt den Leuten die Wahrheit sagen und ihnen damit zeigen, daß man, auch wenn man die politische Dynamik der Situation versteht, nicht davor gefeit ist, dem Druck nachzugeben, daß man dann aber zu diesen Sachen stehen, mit ihnen abschließen und sein Leben wieder klar kriegen kann. Du mußt ihnen zeigen, daß sie keinE SuperheldInnen sein müssen, um in der Bewegung zu sein. Wir wollen immer, daß die Leute glauben, wir sind so aufrechte RevolutionärInnen, daß wir keinen Schmerz empfinden, nie weinen, niemals manchmal alles hinter uns lassen, in die Berge gehen und einfach nur ein gutes Buch lesen wollen. Aber das stimmt nicht.
Ich bin seit 1983 aus dem Gefängnis, und seitdem arbeite ich an dem Fall der New York Three und an anderen Prozessen. Aber manchmal sage ich, mir ist alles zuviel, ich brauche mal 'ne Pause, und dann haue ich ab. Wenn ich sowas jetzt zu den anderen sage, dann lassen sie mich mal für ein paar Wochen in Ruhe, rufen mich dann an und fragen, Ist jetzt alles wieder o.k.?, weil du auch nur ein Mensch bist. Du brauchst sowas einfach manchmal, damit du stark genug bleiben kannst, um mit den Bedingungen des Kampfes umzugehen. Wir wollen immer, daß andere von uns denken, wir seien übermenschlich, wir seien nicht wie alle anderen ... obwohl das nicht stimmt. Wir müssen uns das vor uns selbst eingestehen. Wenn ich also feststelle, daß ich nicht mehr weiter kann, dann betrachte ich das als ein Warnsignal, damit ich den Bedingungen nicht zum Opfer falle.

Also ist es wirklich so, daß es seit den 80ern praktisch keine BLA mehr gab?

Safiya: Ich würde sagen seit 1977/78. Und was es besonders schlimm macht, ist, daß die Regierung das wußte. Sie wußte, daß es seit dieser Zeit keine politische BLA mehr gab, deren Ziel als militärischer Apparat der BPP ausschließlich der bewaffnete, politische Kampf in diesem Land gewesen wäre.
Wie ich schon gesagt habe, bedeutet mir Mutulu sehr viel. Es tut ihm leid, was er getan hat, daß er sich auf diese Sachen eingelassen hat. Nach und nach wird er das aufarbeiten.
Ich glaube, daß wir, um eine neue Bewegung aufzubauen, erkennen müssen, worin die Fehler der alten bestanden, damit wir sie nicht wiederholen. Erst dann werden wir bereit sein, einen Schritt nach vorne zu machen.

Was wurde aus den anderen Frauen, die der Repression ausgesetzt gewesen waren. Machen sie weiter?

Safiya: Viele sind in der Communityarbeit. Viele von uns stehen in Kontakt miteinander, obwohl wir unterschiedliche politische Sachen machen. Die Frauen leisten im gesamten Land die meiste Arbeit dieser Art. Frauen ziehen die Kinder groß und kümmern sich um ihre Ausbildung. Sie kümmern sich um die Familien von politischen Gefangenen und um ihr eigenes Überleben. Und sie unterrichten die Jugend in Schulen, Colleges und Universitäten. Außerdem setzen sie die Communityarbeit fort in Obdachlosenheimen, Programmen für Kinder etc.
Wir bleiben in Verbindung. Wir diskutieren darüber, uns als Frauen zusammenzutun und die Arbeit zu machen, die notwendig ist. Und wir fangen an, Bücher zu schreiben und öffentlich zu reden.

Das erinnert mich an den Besuch einer Frau von den Tupamaros im April 92 in der BRD. Sie beschrieb eine ähnliche Entwicklung in Uruguay. Dort würden die Frauen die Communityarbeit machen, während die Männer die Strategiediskussionen führen.

Safiya: Die wirkliche Arbeit in vielen Bereichen wird von Frauen gemacht. Das ganze Sich-im-Sessel-Zurücklehnen und Theorien-Entwickeln hilft den Kindern nicht weiter, verhindert nicht, daß sie ins Gefängnis kommen, unterrichtet sie nicht. Wir müssen mit unseren Füßen auf dem Boden bleiben, in Bewegung bleiben und dafür sorgen, daß die Kinder überleben, während wir eine Bewegung aufbauen.

Du hast erwähnt, daß Du Moslemin bist. Hat das irgendeinen Einfluß auf deine politische Arbeit?

Safiya: 1971, schon bevor ich in das Gefängnis kam, bin ich Moslemin geworden. Es war eine Sure im Koran, die mir die Möglichkeit gab, Revolutionärin und Moslemin gleichzeitig zu sein. Diese Sure besagt, daß es die Pflicht eines Moslems ist, gegen Tyrannei und Unterdrückung zu kämpfen, wo auch immer sie auftreten. Und ich nehme das sehr ernst, so ernst, wie es meiner Meinung nach gemeint war, daß nämlich eine wahre Moslemin nicht einfach zusieht, wie sich Tyrannei und Unterdrückung ausbreiten, ohne dagegen zu kämpfen.Ich sehe also keinen Widerspruch darin, Moslemin und Revolutionärin zu sein.
Den Widerspruch sehe ich vielmehr in der Art, wie der Islam zur Zeit in der Welt praktiziert wird. Als ich in Virginia gefangen genommen wurde, schickte die islamische Community einen Repräsentanten zu mir, der mir erklärte, daß sie mich solange nicht unterstützen würden, solange ich meinen Prozeß nicht von dem meines Mitangeklagten abtrennen würde. Diese Position fand ich völlig falsch. Ich hatte viele Konflikte mit Leuten, die behaupteten, weil ich eine moslemische Frau sei, sollte ich dieses oder jenes nicht tun. Aber wenn mich jemand nach meinen politischen Standpunkten und Handlungen fragt und behauptet, daß sie nicht mit dem Koran übereinstimmen würden, verweise ich immer auf Sure 23.

Wir bekommen in Europa, denke ich, nur sehr wenig von den progressiven Seiten des Korans mit.

Safiya: Weil die meisten das nicht umsetzen wollen. Sogar hier in den USA ist der Koran für die meisten Moslems nur ein Weg, sich von der herrschenden Gesellschaft abzugrenzen (und nicht, sie zu verändern, d.Ü.).
Eine dieser Verhaltensweisen ist die Heirat mit vier Frauen. Da der Islam von Männern ausgelegt wird und Frauen den Koran nicht selbst lesen, werden sie so zu Opfern des Islams. Sie wissen nicht, daß ein Mann für die Heirat mit einer weiteren Frau die Erlaubnis der Ehefrau braucht, das heißt, wenn sie dem nicht zustimmt, findet die Hochzeit nicht statt. Außerdem muß der Mann, um ein weiteres mal zu heiraten, in der Lage sein, die Frauen auch ökonomisch, psychisch, physisch und spirituell zu versorgen. Und ich kenne nicht allzuviele Männer, die mit mehr als einer Frau umgehen und sie versorgen können. Dann sollten sie auch nicht mehr als eine Frau heiraten. Aber viele Männer nehmen sich eine Frau, schicken sie zum Sozialamt [ 36 ] und nennen sich selbst Moslems. Sie haben den Koran nie wirklich gelesen.

Möchtest Du diesem Interview noch etwas hinzufügen?

Safiya: Ja. Ich möchte wiederholen, daß wir alle Schwächen haben. Zum Beispiel die Schwächen, denen die Leute zum Opfer fielen, nachdem die Führung der Organisation im Gefängnis war oder eliminiert wurde. Die Organisationen waren zerstört, und zurück blieben viele Leute, die ohne Organisation nicht weitermachen konnten. Sie waren ganz auf sich allein gestellt und haben sich dann in einen Haufen negativer Sachen verstrickt, wie Mutulu oder Sekou Odingo und andere, die in den Gefängnissen im ganzen Land einsitzen. Aber auch wenn eine Menge Scheiße passiert ist, allgemein und auch speziell in den Sachen, für die sie einsitzen, sind sie doch politische Gefangene. Alle machen mal Fehler. Wir sind alle Menschen.
Wir müssen aus der Situation lernen und dafür sorgen, daß so etwas nicht mehr passiert. Wir müssen eine politische Struktur aufbauen, eine Grundlage schaffen, die in der Lage ist, Leute auch emotional aufzufangen, damit Leute niemals wieder ganz allein auf sich gestellt in einer Umgebung überleben müssen, die sie nicht unterstützt oder ihnen sogar direkt antagonistisch gegenübersteht.
Sekou Odinga [ 37 ] ging direkt nach dem Panther 21 Prozeß [ 38 ] ins Exil nach Algerien. Er kam in die USA zurück, und es gab keine Struktur, die ihn auffangen konnte. Also beteiligte er sich an der illegalen Struktur. Das mußte er, es war eine Frage des Überlebens.
Auch D.C. kam während dieser Zeit ins Land zurück und traf die Entscheidung, lieber auszusteigen und nach Frankreich zurückzukehren, als sich an dieser Art von Überlebensaktionen zu beteiligen.
Andere Leute hatten nicht dieses Glück. Sie konnten nirgendwo hingehen, sie konnten bestimmte Sachen nicht machen, und sie trafen die falschen Entscheidungen.
Obwohl uns das personell und in unseren psychischen und technischen Möglichkeiten, eine Bewegung aufzubauen, um Jahre zurückgeworfen hat, ist es doch eine Erfahrung, aus der wir lernen können. Sogar von negativen Erfahrungen erholst du dich wieder und lernst daraus.

Ich habe noch eine Frage. Kannst Du mit der weißen feministischen Bewegung oder der weißen Frauenbewegung zusammenarbeiten? Gibt es eine Art von Arbeitsbeziehung zu ihnen, oder meinst Du, weil sie kein revolutionäres Programm haben, kannst du nicht mit ihnen zusammenarbeiten?

Safiya: Das kommt darauf an. Ich denke, zu Beginn war die feministische Bewegung in diesem Land halbwegs progressiv. Jetzt gibt es in ihr aber ebensoviele rechte wie revolutionäre Strömungen. Eigentlich würde ich sogar behaupten, daß die rechten Strömungen der feministischen Bewegung in den USA überwiegen. Und das nicht nur in der weißen feministischen Bewegung, sondern auch in der Schwarzen/Third World [ 39 ] feministischen Bewegung. Manchmal denke ich, sie setzen ihre eigenen individuellen Themen mit dem revolutionären Kampf gleich, obwohl das nicht ein und dasselbe ist.
In der feministischen Bewegung gibt es beispielsweise eine eigene Bewegung zu der Frage der Reproduktionsrechte, des Rechtes auf Abtreibung. Wir in der Linken vertreten darin die Position, daß der Körper einer Person ihr selbst gehört, daß das eine Entscheidung ist, die sie selbst treffen sollte. Aber in dieser wichtigen Frage gibt es auch viele Bullenfrauen, Richterinnen, Staatsanwältinnen und andere VertreterInnen des Repressionsapparates, die für das Recht auf Abtreibung sind. Also ist diese Position nicht per se eine revolutionäre Position, und wir können sie nicht ohne weiteres als solche darstellen.
Auch die meisten Kämpfe der lesbischen und schwulen Community in diesem Land sind genauso konservativ wie ihre Gegenstücke in der heterosexuellen Community. Sie begreifen nicht, daß die Frage der sexuellen Orientierung allein noch kein revolutionäres Thema ist. Viele Leute erkennen den Unterschied nicht. Sie sehen nicht, daß du das allein nicht zu einem Thema der Schwarzen Befreiungsbewegung machen kannst.
Wenn ich das Thema Unterdrückung aufgrund der sexuellen Orientierung anspreche, stelle ich klar, daß es um den Kampf gegen Unterdrückung generell geht, egal aus welchen Grund. Wir können uns nicht darauf beschränken, ausschließlich die Unterdrückung einer Person aufgrund ihrer/seiner sexuellen Orientierung zu bekämpfen. Wenn wir das einmal begriffen haben, ist es eine Frage der persönlichen Entscheidung, in welchen Teilbereich wir uns stellen, und unser Kampf fällt dann nicht auf die Ebene des Rassismus und der Klassenunterdrückung zurück.


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Fußnoten

[ 0 ]
Die New York Three sind die ehemaligen Black Panther Nuh Washington, Jalil Muntaquin und Hermann Bell. 1975 wurden sie als Mitglieder der BLA verhaftet. Der damalige Präsident Richard Nixon griff durch interne Anweisungen an den Staatsanwalt persönlich in das Verfahren gegen die New York Three ein. Sie wurden schließlich mit Hilfe von gefälschten Beweisen und gekauften Zeugen wegen angeblichen Mordes an drei Polizisten zu einer Mindeststrafe von 25 Jahren Haft bis lebenslänglich verurteilt. 1989 stellten die New York Three aufgrund von neuen Beweisen einen Antrag auf Wiederaufnahmeverfahren, der in erster Instanz abgelehnt wurde.

[ 1 ]
schwarzes Ghetto in New York City

[ 2 ]
kleinkalibrige Schußwaffe

[ 3 ]
National Association for the Advancement of Colored People Nationale Vereinigung für das Vorankommen von Farbigen Menschen; älteste Schwarze Bürgerrechtsorganisation in den USA, s. auch Anmerkung Nr. 3 im Bashir-Interview.

[ 4 ]
Yuri Kojijama ist die Tochter japanisch-US-amerikanischer Eltern, die während des 2. Weltkriegs interniert waren. Sie ist seit über 25 Jahren in der Unterstützungsarbeit für die politischen Gefangenen aktiv.

[ 5 ]
Harriet Tubman (ca. 1823 1913), ehemalige Sklavin. Später wichtige Organisatorin der Underground Railroad, einer militanten Organisation zur Befreiung und Unterstützung von SklavInnen. Sie unterstützte John Browns Pläne, eines der wichtigsten Waffendepots der Südstaaten-Armee in Harpers Ferry anzugreifen. Während des Bürgerkriegs leitete sie verschiedene militärische Erkundungseinsätze zur SklavInnenbefreiung. Später arbeitete sie in der Frauenwahlrechtsbewegung und für die Organisierung der National Federation of Afro-American Women (Nationaler Dachverband Afro-Amerikanischer Frauen, d.Ü.) und unterstützte ein Heim für ältere freigelassene ehemalige SklavInnen.

[ 6 ]
katakombenartiges Untersuchungsgefängnis in New York City

[ 7 ]
Albert Nuh Washington, ehem. Mitglied der BPP und BLA, wurde im Fall der New York Three zusammen mit Jalil Muntaquin und Herman Bell wegen Mordes an drei Polizisten angeklagt und zu 25 Jahren bis lebenslänglich verurteilt.

[ 8 ]
gutartige Unterleibsgeschwüre

[ 9 ]
zum Kulturbegriff siehe Einleitung

[ 10 ]
s. Einleitung

[ 11 ]
s. Einleitung

[ 12 ]
benannt nach dem Buch Franz Fanons Die Verdammten dieser Erde

[ 13 ]
Gründer der BPP in Oakland

[ 14 ]
Robert Webb war zu diesem Zeitpunkt illegal.

[ 15 ]
Assata Shakur war Mitglied der BPP und BLA, wurde 1979 aus dem Gefängnis befreit und lebt heute im Exil auf Kuba. (Ihre Autobiographie ist in jedem gutsortierten Buchladen erhältlich)

[ 16 ]
Don Cox, ehemaliger Felmarschall der BPP und Mitglied des Zentralkomitees.

[ 17 ]
Schwarzer poltischer Ex-Gefangener

[ 18 ]
s. Interview mit Geronimo Pratt

[ 19 ]
s. Anmerkung 7

[ 20 ]
monatlich erscheinendes Prozeßinfoblatt in New York City

[ 21 ]
schwarze Rap-Musikerin

[ 22 ]
New Yorker Radiosender, der überwiegend von Schwarzen gehört wird.

[ 23 ]
Stadtteil von New York City

[ 24 ]
Heftig umstrittene Enteignungsaktion eines Brinks-Geldtransporters 1981. Details s. Anmerkung 9 beim Abdul-Interview

[ 25 ]
s.o.

[ 26 ]
Die weiße Weather Underground Organization (Weather People) war Ende der 60er Jahre als mao-istische Weathermen Organization aus dem SDS hervorgegangen. Sie hatte vor allem das Ziel, weiße marginalisierte Jugendliche zu organisieren. Nach einer offenen Straßenschlacht mit der Polizei im Jahr 1969 und der vorzeitigen Explosion einer Bombe, bei der zwei Weatherpeople ums Leben kamen, ging die Organisation Anfang der 70er Jahre in die Illegalität. Ungefähr um diese Zeit fand auch aufgrund des starken Einflusses der Frauen innerhalb der Organisation die Umbenennung in Weather Underground statt. Gleichzeitig wurde das Konzept in eine sozialrevolutionärere Richtung verändert. Zwischen 1969 und 1973 führten Gruppen des Weather Underground eine Vielzahl von Sprengstoffanschlägen, insbesondere auf US-Militäreinrichtungen und Institutionen des Polizei- und Gefängnisapparats, durch. Mitte der 70er Jahre spaltete sich die Organisation an der Frage der konkreten Unterstützung für die nationalen Befreiungsbewegungen in den USA. Ein Teil der Weatherpeople tauchte wieder auf, erhielt geringe Haftstrafen und setzte teilweise die politische Arbeit in der Legalität fort. Ein anderer Teil wie Kathy Boudin und David Gilbert setzte den bewaffneten Kampf fort und schloß sich Anfang der 80er Jahre den neuen bewaffnet kämpfenden weißen antiimperialistischen Widerstandsgruppen an, s. auch Anmerkung Nr. 8 im Geronimo-Interview.

[ 27 ]
Mutulu Shakur wurde 1988 wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung und Verschwörung gegen den Staat im Zusammenhang mit Brinks und der Befreiung von Assata Shakur zu 60 Jahren Gefängnis verurteilt.

[ 28 ]
Marilyn Buck, weiße Antiimperialistin, wurde 1973 wegen angeblicher Unterstützung für die BLA zu 10 Jahren Knast verurteilt. 1977 kehrte sie nach einem Ausgang nicht mehr in den Knast zurück und lebte bis 1986 in der Illegalität. Nach ihrer Verhaftung wurde sie zusammen mit Mutulu Shakur, wegen der Befreiung von Assata Shakur verurteilt und erhielt 50 Jahre Knast. 1989 wurde sie zusammen mit fünf anderen weißen AntiimperialistInnen wegen Verschwörung zum Widerstand angeklagt. Der Gruppe wurde vorgeworfen, Anfang der 80er Jahre mehrere Sprengstoffanschläge gegen Regierungs- und Militäreinrichtungen verübt zu haben, u.a. 1983 während der US-Invasion auf Grenada einen Anschlag auf das Capitol. Hierfür wurde Marilyn 1990 zu weiteren 25 Jahren Haft verurteilt.

[ 29 ]
Drogenentzugsprogramm

[ 30 ]
Schwarzer Stadtteil in New York City

[ 31 ]
Black Acupuncture Association of North America (Schwarze Akupunktur Gesellschaft in Nordamerika)

[ 32 ]
s. Einleitung

[ 33 ]
Bis zu seiner Verhaftung 1967 war Herman Ferguson führendes Mitglied verschiedener schwarzer Organisationen gewesen. Nach seiner Verhaftung wurde ihm und seinem Mitangeklagten Arthur Harris die Planung eines Mordkomplotts gegen die Führungsspitze der NAACP vorgeworfen. Dafür wurde er 1970 zu dreieinhalb bis siben Jahren Haft verurteilt. Da er auf Kaution frei war, konnte er rechtzeitig ins Exil nach Guayana, Lateinamerika, gehen. Nach fast 20 Jahren Exil kehrte er 1989 in die USA zurück und wurde noch auf dem Flughafen in New York City festgenommen. Zur Zeit sitzt er die Mindeststrafe aus dem Prozeß von 1970 ab, kann aber seit 1991 an einem Freigängerprogramm teilnehmen.

[ 34 ]
Sundiata Acoli wurde 1968 als einer der Panther 21 angeklagt und freigesprochen. 1973 wurde er zwei Tage nach Assata Shakur und Zayd Shakur verhaftet, da ihm während des Schußwechsels mit der Polizei zunächst die Flucht gelang. Zayd und ein Polizist wurden bei der Verhaftung erschossen. Sundiata wurde zu einer Gefängnisstrafe von lebenslänglich plus 30 Jahren verurteilt und ist seit mehreren Jahren im Gefängnis an Tuberkulose erkrankt.

[ 35 ]
s. Einleitung

[ 36 ]
Sowohl die Höhe der Sozialhilfe als auch die Bedingungen, um sie überhaupt zu erhalten, sind wesentlich schlechter als in der BRD.

[ 37 ]
Sekou Odinga war u.a. Mitglied der internationalen Sektion der BPP in Algerien. 1981 wurde er wegen der Befreiung von Assata Shakur und der Enteignung des Brinks-Geldtransporters zu 25 Jahren bis lebenslänglich verurteilt.

[ 38 ]
Im April 1969 wurden 21 führende Panther-Mitglieder aus New York im Rahmen von COINTELPRO wegen angeblicher Verschwörung angeklagt. Sie wurden im Mai 1971 freigesprochen.

[ 39 ]
Mit dem Gebrauch des Begriffs Third World werden in den USA die Lebensbedingungen für viele People of Color beschrieben, die mit denen der meisten Menschen im Trikont vergleichbar sind.

 

Quelle: BLACK POWER Interviews mit (Ex-)Gefangenen aus dem militanten schwarzen Widerstand - Redaktionskollektiv >Right On< (Hg.)

Link: https://www.nadir.org/nadir/archiv/PolitischeStroemungen/black_power/index.html

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